Musik hilft mir dabei, der allgemeinen Hektik unserer Zeit zu widerstehen. Dafür sind langsame Lieder gar nicht mal die erste Wahl, obwohl ich gewissermaßen keine BPM-Untergrenze habe. Ich liebe ganz, ganz langsame Lieder.
Sich Zeit zu nehmen, um in Ruhe über etwas nachzudenken oder ein Thema ausführlich mit jemandem zu besprechen, ist aus der Mode gekommen. Schließlich hat ja niemand mehr Zeit, dreht sich unsere Welt heute in einem verrückt-schnellen Tempo. Die Medien (mal so pauschal gesprochen) tragen einen erheblichen Teil dazu bei, wobei sie letztlich selbst Getriebene sind. Sehr schön wird dies in einem Beitrag vom letzten Wochenende im Deutschlandfunk beschrieben, der online abrufbar ist. Um ihn sich anzuhören, braucht man jedoch fast 30 Minuten. Das als kleine Warnung.
Musik als Schutzschild
Hier soll es nicht um Zeitmanagement oder darum gehen, warum man sich diesem Sog der Geschwindigkeit entziehen sollte. Vielmehr möchte diejenigen, die Entschleunigung für ihr Leben suchen, ermuntern, die passende Musik als Schutzschild einzusetzen. Gemeint ist nicht, sich unterwegs in der Stadt mittels Kopfhörern unter den individuell gewählten Soundteppich zu flüchten, um von den anderen Menschen so wenig wie möglich mitzubekommen.
Nein, gemeint ist das bewusste Musikhören, was jedoch nicht ausschließt, währenddessen Aufgaben zu erledigen, die keine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern. Allein das bewusste Auswählen und innerliche Einlassen auf die Musik hat eine positive Wirkung, viel zu oft ist Musik nur eine Klangtapete. Aber das ist ein anderes Thema!
20er, 30er und 40er Jahre
Was mir beim Entschleunigen besonders gut hilft, ist Musik, die aus einer „langsameren Zeit“ stammt. Die Musik der 20er, 30er und 40er Jahre betrachte ich inzwischen mehr als Apothekenschrank denn als Schatzkästlein. Jazz, Gospel und Blues aus dieser Zeit sind dank des Internets heute im Überfluss für jeden Internetnutzer verfügbar. Neben kostenlosen und kostenpflichtigen Streaming-Diensten kann man hier auf Internetradios zurückgreifen, um unkompliziert aus dem Vollen zu schöpfen.
Zum Einstieg empfehle ich schnelle Songs, denn Musik muss zuerst einmal zum aktuellen Gemütszustand passen. Unsere Seele mag keine Vollbremsungen. Musik, die das Lebensgefühl einer anderen Zeit verströmt, hilft mir dabei, die Perspektive zu wechseln, den Blick zu erweitern. Das Wichtigste dabei ist, Abstand zu gewinnen. Lässt man sich auf einen Sound von früher ein, muss man sich aus seiner aktuellen Situation herauslösen. Von da an kann die Musik bewusst als Schutzschild gegen die Hektik eingesetzt werden. Die entscheidende Abschirmung geschieht auf der mentalen Ebene, das Überdecken von Geräuschen ist nur ein Zusatzeffekt.
Unsere Wahrnehmung zählt
Ob es sich um alte Aufnahmen handelt oder ob wenigstens die Songs selbst schon vor langer Zeit geschrieben wurden, ist letztlich gar nicht so wichtig, denn unsere Wahrnehmung ist das Ausschlaggebende. Mir hilft die innere Ausrichtung auf die Vergangenheit beim Entschleunigen, weil sie das fordernde Jetzt infrage stellt. Es geht nicht darum, mental in der Vergangenheit zu leben oder die Vergangenheit zu verklären, sondern eine Perspektive einzunehmen, die mehr als nur den Augenblick zuzüglich der Sorgen um die Zukunft einschließt. Es ist wie mit dem Herauszoomen aus einer Landkarte, um ein Gebiet von einer höheren Ebene aus zu betrachten.